Wirtschaft: Öffentlicher Sektor

Wirtschaft: Öffentlicher Sektor
Wirtschaft: Öffentlicher Sektor
 
Will man die Größe des öffentlichen Sektors bzw. den Umfang der staatlichen Aktivität im Rahmen der Gesamtwirtschaft (Staatsanteil) quantifizieren, sind eine Reihe methodischer Probleme zu überwinden. Öffentliche Leistungen werden überwiegend unentgeltlich abgegeben. Damit fehlt ein Marktpreis, der als Bewertungsmaßstab herangezogen werden kann. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung behilft man sich damit, dass die staatliche Aktivität mit den Kosten bewertet wird, die zu ihrer Bereitstellung in Form von Personalausgaben und Güterkäufen anfallen. Die Problematik dieser Vorgehensweise wird an einem Beispiel deutlich: Bei konstanten öffentlichen Leistungen werden diese umso höher bewertet, je höher das Gehalt der Beamten ist. Die so über die Kosten ermittelte Größe als Bewertungsmaßstab für die staatlich bereitgestellten Güter und Dienstleistungen wird als Staatsverbrauch bezeichnet. Ein weiteres methodisches Problem betrifft öffentliche Leistungen, die von Unternehmen genutzt werden. Dieser Teil der öffentlichen Produktion stellt eine Vorleistung für weitere Produktionsstufen in der Volkswirtschaft dar. Die vollständige Berücksichtigung des Staatsverbrauchs führt zur Doppelzählung: Die Wertschöpfung der Unternehmen wird überschätzt.
 
 Die Staatsquote
 
Die Staatsquote (Staatsausgabenquote) wird als Verhältnis zwischen den gesamten öffentlichen Ausgaben (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) und dem BIP berechnet. Dabei zählen zu den staatlichen Ausgaben neben dem Staatsverbrauch auch die öffentlichen Investitionen und Transfers (Sozialleistungen, Subventionen). Mit der Berücksichtigung der Transfers wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich der moderne Wohlfahrtsstaat nicht auf die Produktion von öffentlichen Gütern beschränkt, sondern auch Umverteilung betreibt. Während die Staatsquote auf die Ausgabenseite abstellt, beschreiben Abgaben- und Steuerquote die Einnahmeseite. Die Steuerquote errechnet sich aus dem Verhältnis zwischen den Steuereinnahmen (Steueraufkommen) und BIP; bei der Abgabenquote werden auch die Sozialabgaben berücksichtigt.
 
 Das wagnersche Gesetz
 
Der deutsche Finanzwissenschaftler Adolph Wagner (1835-1917) hat 1876 die These aufgestellt, dass die Staatstätigkeit in Relation zur gesamten wirtschaftlichen Aktivität überproportional zunimmt. Diese Aussage wird seitdem als wagnersches Gesetz bezeichnet. Die Betrachtung der Staatsquoten im Zeitverlauf bestätigt die empirische Gültigkeit der These: Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es in vielen Industrieländern zu einem starken Anstieg der Staatsquoten gekommen. Der Trend wachsender staatlicher Aktivitäten ist noch deutlicher, wenn man die Entwicklung langfristiger betrachtet. So betrug die Staatsquote in Deutschland um 1900 etwa 15 %, heute rund 48 %. Für das Wachstum des Staatssektors werden verschiedene Erklärungen angeführt. So wird argumentiert, dass die Produktion staatlicher Leistungen besonders personalintensiv ist und daher Rationalisierung in geringerem Umfang möglich ist als in der Privatwirtschaft. Ein weiteres Argument besagt, dass viele öffentliche Güter wie etwa Kultur und Bildung superiore Güter sind. Die Nachfrage nach einem superioren Gut nimmt bei steigendem Einkommen überproportional zu. Politökonomische Überlegungen liefern weitere mögliche Ursachen für einen steigenden Staatsanteil. So wird das Wachstum der staatlichen Aktivitäten durch das Eigeninteresse der Bürokratie gefördert. Bürokraten haben vielfältige Möglichkeiten, auf eine Ausweitung staatlicher Aufgaben hinzuwirken. Im Haushaltsprozess hat die Verwaltung einen erheblichen Informationsvorsprung vor dem Parlament, der zur Verteidigung und zum Ausbau der jeweiligen Budgets genutzt werden kann. Auch die Theorie der Interessengruppen liefert Erklärungsbeiträge: Schlagkräftigen Lobbys gelingt es, von der Ausweitung der staatlichen Aktivität etwa in Form von Subventionen besonders zu profitieren. Diese Lobbys werden die staatliche Aktivität also unterstützen. Des Weiteren versucht die Politik, den Wähler über das tatsächliche Ausmaß der staatlichen Aktivität zu täuschen, etwa durch die Errichtung eines komplizierten Steuersystems oder die Finanzierung öffentlicher Ausgaben durch versteckte Staatsschulden (Schattenhaushalte).
 
 Grenzen des Wachstums
 
Dem Wachstum der Staatsquoten sind Grenzen gesetzt, die heute bereits deutlich spürbar werden. Die für die Finanzierung der staatlichen Aktivität notwendigen Steuereinnahmen sind nicht ohne erhebliche negative Folgen für Arbeitsmärkte und Wirtschaftswachstum einzutreiben. So wird die hohe Abgabenbelastung des Faktors Arbeit als eine der zentralen Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit angesehen. Eine Schuldenfinanzierung der Ausgaben ist angesichts der heute erreichten öffentlichen Schuldenstände ebenfalls problematisch. Der große Einfluss des Staats bei der Entscheidung über die Verwendung knapper Ressourcen stellt außerdem einen wachsenden Widerspruch zum marktwirtschaftlichen System dar.

Universal-Lexikon. 2012.

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